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Der falsche Mythos Authentizität – warum Sie damit im Job und privat sicher scheitern

Aktualisiert: vor 4 Tagen

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Die Killerphrase „Sei authentisch!“ ist überall zu finden – in Zeitungen, Ratgebern und unzähligen Coaching- und Führungsseminaren. Doch was passiert eigentlich, wenn dieser Ratschlag konsequent umgesetzt wird?


Authentizität: echt, aber riskant


Authentisch sein bedeutet: „Ich sage, was ich denke, und zeige, was ich fühle.“ Das klingt befreiend – doch es ist nicht immer hilfreich.


Ein Beispiel aus dem Büro:

Eine Führungskraft eröffnet ein Teammeeting mit den Worten: „Ganz ehrlich, ich habe überhaupt keine Lust auf dieses Projekt. Ich glaube auch nicht, dass es klappen wird.“


Das ist maximal authentisch – aber es entmutigt alle, bremst Energie und Motivation und führt das Meeting sofort in eine Sackgasse.


Was viele Ratgeber ernsthaft proklamieren


Viele Ratgeber halten unbeirrt an der Formel fest: „Sei authentisch!“ – und erklären, warum es angeblich so schwer ist. Der Grund: Ängste.


  • Angst, andere zu verletzen

  • Angst, Erwartungen zu enttäuschen

  • Angst, abgelehnt oder ausgelacht zu werden

  • Angst, unangenehm aufzufallen


Das Resümee klingt einprägsam: „Du bist unglücklich, weil du nicht du selbst sein darfst!“


Doch diese Logik greift zu kurz. Unser Sozialverhalten ist kein Fehler, sondern eine überlebenswichtige Fähigkeit, die wir von klein auf lernen. Wer soziale Erwartungen völlig ignoriert und nur „authentisch“ ist, gefährdet Vertrauen, Zusammenarbeit und letztlich das Funktionieren von Beziehungen – im Job wie privat.


Authentizität versus Anpassung


Verlassen wir die Schwarz-Weiß-Sicht und schauen genauer hin:


  • Authentizität bedeutet, ungefiltert zu sagen, was man denkt und fühlt. Das kann befreiend sein, ist aber oft sozial unverträglich.

  • Anpassung bedeutet, Erwartungen zu erfüllen und Konflikte zu vermeiden. Das kann angenehm wirken, birgt aber die Gefahr der Selbstverleugnung.


Im Endeffekt wird unser Wohlbefinden immer davon bestimmt, wie weit wir uns von unserem Selbst entfernen. Dazu gehören nicht nur Werte, sondern auch Gefühle, Bedürfnisse, Überzeugungen, Erfahrungen und Rollen, die uns prägen. Je größer die Selbstverleugnung, desto größer der innere Druck – und desto unauthentischer wirken wir nach außen.


Beispiel: Die gleiche Führungskraft könnte im Meeting sagen: „Alles läuft wunderbar, ich bin zu hundert Prozent überzeugt, machen wir einfach weiter.“

Das klingt motivierend, doch die Mitarbeitenden spüren schnell, wenn nur eine Fassade gezeigt wird. Auf Dauer geht die Glaubwürdigkeit verloren.


Das anspruchsvolle Ideal: Stimmigkeit


Stimmigkeit verbindet beide Dimensionen:

  • Innere Stimmigkeit – im Einklang mit den eigenen Gefühlen, Werten und Überzeugungen sein.

  • Situative Stimmigkeit – in Einklang handeln mit den Anforderungen der Rolle und der Situation.


Beides zusammen ergibt das Ideal der Stimmigkeit.


Im Beispiel könnte die Führungskraft sagen: „Ich sehe, dass wir in diesem Projekt einige Hürden haben. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass wir sie gemeinsam meistern können. Lassen Sie uns konkret anschauen, wie wir die nächsten Schritte anpacken.“

Das ist ehrlich über die Schwierigkeiten – und gleichzeitig konstruktiv, ermutigend und situationsgerecht.


Warum Stimmigkeit in Führung entscheidend ist


Gerade in Leitungs- und Teamrollen ist Stimmigkeit unverzichtbar:

  • Feedback geben: ehrlich, aber konstruktiv

  • Unsicherheit zeigen: ohne die eigene Handlungsfähigkeit zu verlieren

  • Konflikte ansprechen: klar und deutlich, ohne andere bloßzustellen


Glaubwürdigkeit entsteht dann, wenn Mitarbeiter:innen spüren:

Diese Person ist echt – und sie weiß, wie man der Situation gerecht wird.


Hintergrund: Die Idee von Schulz von Thun


Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun hat den Begriff der Stimmigkeit geprägt. Er beschreibt sie als Zusammenspiel von innerer und situativer Ebene.


  • Wer ausschließlich „superauthentisch“ handelt, riskiert, permanent „daneben“ zu liegen.

  • Wer sich ausschließlich nach Erwartungen richtet, läuft Gefahr, zur „Situationsmarionette“ zu werden und die eigene Einzigartigkeit zu verlieren.


Stimmigkeit ist deshalb kein fauler Kompromiss, sondern ein Produkt aus beiden Polen: Authentizität und Diplomatie, Echtheit und Situationsgerechtigkeit.


Fazit


„Sei authentisch!“ – dieser Satz greift zu kurz. Stimmigkeit verbindet Echtheit mit Verantwortung. Sie ist die Grundlage für gelingende Kommunikation und wirksames Handeln – gerade im beruflichen Kontext.


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